Hoffnung

Gedanken bei der Einweihung im Jahr 2000

Martina Müller

Ich weiss, was für Gedanken ich über euch habe, spricht der Ewige. Gedanken zum Heil und nicht zum Unheil. Ich will euch eine Zukunft und Hoffnung geben. Jer. 29, 11

Ein Erlebnis steht mir vor Augen, wenn ich die Plastik von Andreas Spitteler betrachte. Ich war als 11-Jährige in einem Kinderlager im Engadin. Wir befanden uns auf einer Bergwanderung. Ich war müde und hungrig. Immer noch ging es bergauf. Aber ich hatte den obersten Rand des Berges vor meinen Augen. Ich wusste, dahinter wird sich eine wundervolle Berglandschaft öffnen, und wir werden sehen, wo es weitergeht. Schwierig war, dass ich nicht wusste, wie lange das noch dauern sollte. Zwischendurch wäre ich am liebsten umgekehrt oder hätte mich einfach hingesetzt. Aber der Horizont war und blieb verheissungsvoll. So bin ich zuletzt doch oben angekommen. Die Erinnerung daran ist stark. Noch heute spüre ich die Hoffnung, die mich damals vorwärts gebracht hat. Noch heute nährt mich diese Hoffnung in vergleichbaren Situationen und bewahrt mich vor dem Aufgeben. Ich bertrage dieses Erlebnis als ein Bild auf viele Situationen in meinem Leben. Was ich hoffe, ist immer jenseits des Horizonts. Es ist noch nicht in meinem Blick, noch nicht Teil meiner Wirklichkeit. Es hat vielleicht einen Namen. Es heisst vielleicht "befriedigende Wohnsituation" oder "Gerechtigkeit" oder "ewiges Leben". Aber ich kenne es noch nicht. Ich weiss nur, ich gehe darauf zu. Wenn ich die Hoffnung verliere, wenn ich nicht mehr ber den Horizont hinausdenke, kann ich nicht mehr leben. Dann hat es keinen Sinn, auch nur einen Schritt weiterzumachen. Hoffnung ist nichts Unrealistisches. Vielmehr bedeutet über den Horizont hinausdenken, dass ich mich mit dem Hier und Jetzt auseinandersetze. In der Hoffnung steckt die Kraft zur Veränderung der Gegenwart. Die Hoffnung eröffnet die Zukunft. Die Hoffnung, genährt aus der Vergangenheit, aus den Erlebnissen, wo eine Hoffnung sich erfüllt hat.

 

Martina Müller

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